In der Art und Weise, wie wir alle diesen Formen gestalten, verbergen sich allerdings fast immer bestimmte Ur-Formen. Diese sind erste Figuren und Zeichen, die aus unserer vorgeburtlichen Zell-Erinnerung stammen und uns Befriedigung vermitteln, wenn wir sie zum Ausdruck bringen können. Sie sind bei allen Menschen, in allen Kulturen und Nationen, dieselben, werden aber, frisch und spontan wie am 1. Tag, immer wieder neu und originell wiedergegeben … und auf ganz indiviuelle Weise variiert.
So entfaltet sich im Malspiel ein heilsamer Prozess, der Wohlbefinden erzeugt. Dass es dabei nicht ums Produkt, ums Ergebnis gehen kann, sondern um die Stärkung der kleinen und „großen Kinder“ (Erwachsenen) im Atelier, wird durch die folgenden Erläuterungen verständlich.
Dass das Reservoir der ersten Zeichen unabhängig von Kultur, Ethnie und Geschichte ist, stellte Arno Stern auf Forschungsreisen in unberührte Kulturen fest. Weil es Ausdruck einer sprachlosen Erfahrung ist, die jeder Mensch in der ersten Phase seiner Entwicklung macht – beginnend im Mutterleib – kann die Chance, es zum Ausdruck zu bringen, so befreiend und heilsam sein.
Überall werden wir bewertet, sei es nun positiv oder eher abwertend – das fängt schon im Kindergarten, ja in der Krabbelgruppe an, verschärft sich in Schule, Ausbildung und noch viel mehr im Berufsleben. Alles, was wir tun, ist nutzenorientiert, muss verwertbar sein. – Dass wir das, was wir tun und lassen, bewerten, damit wir Entscheidungen treffen können, ist eine Qualität, die wir uns im Er-Wachsen werden erwerben. Sie ist notwendig und unterscheidet den Erwachsenen vom paradiesischen Zustand der totalen Offenheit des ganz kleinen Kindes. Und doch sehnen wir uns alle nach diesem Traumland zurück – holen uns in Nischen, insgeheim oder ganz offen – etwas davon in unser Erwachsenenleben zurück. Oft in Form von kleinen oder großen „Süchten“ oder anderen Formen des Ausgleichs fürs „Funktionieren-Müssen“. Wir leben in einer „süchtigen Gesellschaft“ und beklagen dies. In kleinen und grösseren „Lastern“ suchen und er-leben wir offenbar etwas (und oft auf eine Weise, die uns mehr oder weniger schadet, letztlich aber einschränkt und unfrei, oder sogar lebensunfähig macht und zum Scheitern bringt), was zu unserem Menschsein konstituierend dazugehört, etwas, was wir nicht aufhören, zu brauchen!
Was brauchen wir? Den Genuss, den es uns bereitet, selbst etwas zu erschaffen? Suchen wir vielleicht die besondere Art des aktiven Genießens? Das Wechselspiel aus – Hingabe und Aktivität? Einen Geschmack von – Freiheit? Und wünschen wir uns nicht zugleich, dabei ganz bei uns selbst sein zu können, in einer gefahrlosen Zone, geborgen und sicher, und nicht abzustürzen, verloren zu gehen oder einen Kater zu bekommen, wenn der Genuss vorüber ist?
Wie auch immer Sie oder ich diese Art zu Sein beschreiben würden – Kinder befinden sich im paradiesischen Zustand des Erschaffens noch weitaus häufiger als wir – z.B. wenn sie SPIELEN. Sehr bald aber trifft auch sie das Schwert des Urteils – schon durch ihre Kindergartenfreunde und -freundinnen! All das gehört zu Leben dazu. Ja zu einer Option sagen zu können, nein zur anderen – das ist notwendig, um Verantwortung tragen zu können, um weiter zu kommen im Leben, ja um überhaupt irgendetwas in der Welt zu bewirken.
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